Pepe und ich finden auf einem unserer damaligen Streifzüge durch die idyllische Duisburger Welt einen verlassenen Blockbau. Nein, ZWEI verlassene Blockbauten. Bis auf einige zerbrochene Fenster und vereinzelte Graffitties sind die Gebäude noch erstaunlich gut in Schuss. Über 200 Fensterscheiben, die nur darauf warten eingeworfen zu werden.
Wir lassen uns nicht zwei Mal bitten und nutzen die Gelegenheit, um unsere Zielgenauigkeit mit Steinen zu trainieren. Zu diesem Zeitpunkt sind wir 13 Jahre alt und Dinge zu zerstören, zu versenken oder abzufackeln sind unsere brennende Passion. Hier sind wir in unserem Element. Wenige Wochen zuvor haben wir bespielsweise Pepes Modell-Auto-Sammlung erheblich dezimiert, indem wir die kleinen Maseratis und Lamborghinis mit Böllern ausgestattet haben oder mithilfe von Terpentin lichterloh in Brand setzten.
Unvergessen ist auch der Tag an dem ich mit platten Reifen zu Pepe geradelt bin und völlig erschöpft angekommen von Pepes Vater erfahren musste, dass ich wieder nach Hause fahren darf. Pepe hatte kurz zuvor seine Kinderzimmer-Heizung mit blutigen Zombies bemalt. Man konnte uns Vieles vorwerfen aber materialistisch waren wir weiß Gott nicht.
Wie dem auch sei, ich werfe einen Stein - KLIRR. Pepe wirft ebenfalls einen - KLIRRRR.
Wir lachen uns dabei in Extase. Steine werfen war für uns ein seltenes Vergnügen, da wir sonst gerne zu gewöhnlichen Eiern griffen. Diese sind aber teuer und wie oft in der Woche will man schon einen Kuchen backen? Die Verkäuferinnen im Edeka wurden schon misstrauisch, wenn wir wieder einmal drei 10er-Schachteln Eier kauften.
Phase 1: Kontakt der dritten Art
Phase 1: Kontakt der dritten Art
Nachdem wir gefühlt das halbe Gebäude malträtierten und es aussieht wie im Kosovo, machen wir uns auf den Heimweg. Ausgepowert. Zufrieden. Wir kichern und flaxen.
DANN ... plötzlich ... radelt ein älterer Herr auf einem Holland-Bike hinter uns her. Er kam quasi aus dem Nichts und sieht aus wie der fleischgewordene Tod. Wie der kopflose Reiter bei Sleepy Hollow. Sofort erkennen wir den Ernst der Lage - dieser Oppa scheint der Rächer des verlassenen Hauses zu sein. Er radelt mit kaltem Blick und einem Affenzahn auf uns zu.
Wir nehmen unsere Beine in die Hand und sprinten panisch drauflos. Ohne zu übertreiben, hätte einer die Zeit gestoppt, wären wir die 100 Meter in unter 11 Sekunden gelaufen. Wir suchen zunächst Zuflucht in einer benachbarten Schule. Da es Wochenende ist und alle Tore geschlossen sind, springen wir über den Zaun. Hinter einer massiven Beton-Tischtennis-Platte hocken wir zusammengekauert und warten bis Gevatter Tod vorbei radelt. Man kann unsere Angst riechen und unser Puls ist so laut, wir können ihn gegenseitig hören.
Einige Minuten vergehen und wir wiegen uns in Sicherheit.
BOOOOOOOMMMM
Der alte Ghost-Rider ist plötzlich MITTEN auf dem Schulgelände. Wie in Gottes Namen ist er da hingekommen? SCHWARZE MAGIE! Wie aufgescheuchte Anitlopen springen wir über den Schulzaun und laufen winselnd mehrere hundert Meter zu einer anderen Schule. Wir klettern in Todesangst auf ein Dach und verharren dort weitere 3 Stunden.
Die Lage neutralisiert sich - die Luft scheint rein zu sein. Völlig ermüdet und terrorisiert schleichen wir nach Hause.
Phase 2: Vergeltung
Nach reiflicher Überlegung, haben wir uns entschlossen, dem Ghost-Rider - mittlerweile heißt er nur "Nazi-Oppa" - eine Lektion zu erteilen. Rache ist Blutwurst.
Ausgestattet mit einem vollständigen Miracle-Blade Messer-Set von meinen Eltern marschieren wir zurück zum Ort des Grauens. In die Höhle des toten Riders. Ich hab' einfach alle Messer in meinen blauen Eastpak-Rucksack geschmissen - darunter einige Steakmesser, ein Hackebeil etc. pp.
Als Verstärkung haben wir dieses Mal unseren Kollegen Lulatsch im Schlepptau. Der war äußerst angetan von unserer Story und will nun ein wenig mitmischen.
Heute wollen wir nicht nur Steine werfen, sondern ein Exempel statuieren. Wir brechen ein in die verlassenen Katakomben des Grauens und bearbeiten alles, was nicht niet- und nagelfest ist.
Wir zerschnippeln Tapeten, Vorhänge und sogar Möbel. Wie Uma Thurman im ersten Teil von Kill Bill sicheln wir um uns rum.
Nimm das, Tapete! |
Lulatsch findet eine alte Porno-Sammlung. Abgebildet sind Muddis aus den 80ern mit wuchernder Sekundär-Behaarung. Scheinbar dient dieser gottlose Ort immernoch Obdachlosen und Junkies als Zuflucht. Egal, auch die Pornos müssen dran glauben - SCHNIPP SCHNAPP!
Nach einer Stunde der wütenden Raserei, ist unser Durst nach Gerechtigkeit gestillt und wir machen uns langsam auf die Socken. Hinter einem Busch sehen wir auf einmal einen grün-weißen Polizei-Opel im Anflug. Scheinbar ist unsere Samurai-Aktion nicht unbemerkt geblieben.
Wir jumpen in den Busch hinein und verweilen da muxmäuschenstill.
Die Beamten steigen aus und laufen ein wenig halbherzig umher. Mit Taschenlampen begutachten sie das Ausmaß der Zerstörung. Zucken mit den Schultern und machen sich wieder auf den Rückweg.
Plötzlich ertönt Lulatscht's Mobiltelefon ...
PIIIIIIIEEEEEEEEEEP
PIIIIIIIIEEEEEEEEEEEEP
Fuck, AUSGRECHNET JETZT!
Die beiden Sheriffs drehen sich sofort um und laufen auf unseren Busch zu. "Ihr könnt da jetzt rauskommen, wir haben euch schon längst gesehen!" Na klar, Sherlock Holmes. Ich lasse den Rucksack mit den zig Messern schweren Herzens im Gebüsch zurück. Was sollte ich der Polizei auch darüber erzählen? "Wir waren auf dem Weg zu einem Kochkurs und haben aus Versehen die komplette Einrichtung hier klein gehackt..."? Es gibt keine vernünftige Erklärung dafür, warum ein 13-Jähriger ein komplettes Miracle-Blade Messer-Set zu einem verlassenen Haus mitnimmt.
Auf dem Revier stellt sich raus, dass der ehemalige Hausmeister Anzeige gegen uns erstattet hat. Der Nazi-Oppa ist also der ehemalige facility manager dieser Gruft. Viel erstaunlicher ist jedoch, dass der sachbearbeitende Officer vollkommen auf unserer Seite ist und uns versichert, dass wir nichts zu befürchten haben. Er selbst fuckt sich sogar über den Nazi-Oppa (nur dass er ihn nicht so nennt) ab: "Der Mann kann einfach nicht loslassen und versucht noch jeden Cent für das Gebäude zu ergattern. Es wird eh abgerissen!". Es gibt doch noch Wunder auf dieser Welt. Wir verlassen das Revier als freie, unbescholtene Rotzlöffel und noch am selben Tag hole ich meinen Eastpak mit den Messern ab.
Übrigens:
Die SMS die Lulatsch bekommen hat, als wir im Busch saßen und uns versteckten lautete haargenau im Wortlaut: "hey, was machste grade?"
Übrigens:
Die SMS die Lulatsch bekommen hat, als wir im Busch saßen und uns versteckten lautete haargenau im Wortlaut: "hey, was machste grade?"